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  • Marvin Schopf

Offener Brief aufgrund der angekündigten Kürzungen bei der Schulsozialarbeit

Offener Brief des Kreiselternbeirats an den Schul- und Jugenddezernenten des Main-Taunus-Kreises und den Leiter des Amtes für Schulen, Jugend und Kultur aufgrund der angekündigten Kürzungen bei der Schulsozialarbeit


Sehr geehrter Herr Fink, sehr geehrter Herr Schnee,

 

überraschend und in Form einer knappen Pressemeldung haben Sie, hat der Main-TaunusKreis, angekündigt, Stellen zu streichen, die seit langen Jahren fester Bestandteil der Schulorganisation sind – bei der Schulsozialarbeit.

 

Sie haben diesen einseitigen, für die Betroffenen unerwarteten Beschluss mit Mittelkürzungen und Haushaltsdefiziten begründet. Wir, die Schulelternbeiräte der betroffenen Schulen, der Kreisschülerrat und betroffene Schüler:innen sowie der Kreiselternbeirat als Elternvertretung von rund 30.000 Schüler:innen, halten Ihre Entscheidung für falsch. Bei allem Verständnis für die finanzielle Situation des Kreises und wohlwissend, dass der Kreis trotz knapper Mittel in Schulbaumaßnahmen und die Digitalisierung investiert: Dass ausgerechnet bei der Schulsozialarbeit der Rotstift angesetzt werden soll, ist definitiv der falsche Ansatz.

 

Schulsozialarbeit ist inzwischen ein integraler Bestandteil schulischer Konzepte und fest verankert in einem multiprofessionellen Team, welches zur Bewältigung der vielfältigen pädagogischen Herausforderungen notwendig ist. Stärkung von zunehmend heterogenen Klassengemeinschaften, Gewaltprävention, Kriseninterventionen und Einzelfallhilfe in Notsituationen, vertrauliche Beratungsangebote, Kooperationen mit Beratungsstellen und außerschulischen Partnern oder die sozialpädagogische Begleitung bei Klassenfahrten: Dies sind nur einige Felder, die die Sozialarbeit an den betroffenen Schulen wie auch an allen anderen Schulen des Kreises, die auf sozialpädagogische Fachkräfte bauen können, mit einem solchen Angebot abdeckt. Sie zeigen welche Bedeutung diese Arbeit für den sozialen Frieden an den Schulen und die Entwicklungsperspektiven benachteiligter Kinder hat. 

 

Die Anforderungen an die Schulen wachsen. Im Rahmen einer zunehmenden Vergesellschaftung von Erziehungsaufgaben müssen Schulen und Betreuungseinrichtungen immer mehr pädagogische Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig werden die Unterschiede in der Gesellschaft und die Zahl der Kinder, die eine individuelle Förderung zur Überwindung ihrer Benachteiligung benötigen, größer. Vor diesem Hintergrund ist die Kürzungsmaßnahme nicht nachvollziehbar. Die Schulsozialarbeit an den vier betroffenen Schulen benötigt mehr und nicht weniger Ressourcen. Selbstverständlich sind solche Mittel begrenzt, insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Aber es bleibt eine politische Entscheidung, welche Schwerpunkte man in einem Haushalt setzt und welche Bedeutung dabei der Bildung und Jugendhilfe zugebilligt wird. 

 

Wir begrüßen ausdrücklich Ihre Entscheidung, die Schulsozialarbeit an den Grundschulen weiter zu unterstützen, die im Rahmen des Programms „Aufholen nach Corona“ entstandenen Stellen zu sichern und die ausgelaufenen Landesmittel durch kreiseigene zu kompensieren. Die Grundschulen stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie die weiterführenden Schulen und müssen ebenfalls immer mehr sozialpädagogische Elemente in ihre Arbeit integrieren. Doch dürfen die Ressourcen an den Grundschulen mit denen der weiterführenden Schulen nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Die Arbeit an den weiterführenden Schulen wird durch die zusätzlichen halben Personalstellen an 6 der insgesamt fast 40 Grundschulen im Kreis nicht weniger dringend. Hier darf es kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch geben. Notwendig ist eine Sicherung der bestehenden Stellen und eine langfristige Aufstockung bei allen Schulformen. 

 

Auch bei Betrachtung der gesellschaftlichen Dimension der Schulsozialarbeit zeigt sich, welches Signal von einer solchen Stellenkürzung ausgeht. Soziale Verwerfungen und gesellschaftliche Spannungen machen an den Klassentüren nicht halt. Wir sehen aktuell sehr deutlich, wie Krisen und düstere Zukunftsperspektiven in unserem Land zu Unsicherheit, radikalen Ansichten und einem Auseinandertriften der Gesellschaft führen. Folgerichtig wird dann von allen Seiten die Bedeutung von Bildung als notwendiger Gegenpol zu diesen Tendenzen hervorgehoben, die Schule als ein Ort, an dem demokratische Werte vermittelt werden, Jugendliche soziale Kompetenzen erwerben und einen kritischen Geist bilden können. Doch zur Erfüllung dieser Aufgaben müssen die Schulen auch ausreichend befähigt werden. Dazu sind multiprofessionelle und multiperspektiv arbeitende Teams notwendig – Lehrinnen und Lehrer, die diesen Erziehungs- und Bildungsauftrag übernehmen, ebenso wie sozialpädagogische Kräfte.

 

Es ist eine Arbeit, die sich auch bzw. gerade für den Kreis rechnet: Über solche positiven Impulse werden nicht nur demokratische Strukturen gestärkt, sondern auf lange Sicht ebenfalls Jugend- und Sozialämter entlastet. Jeder Euro, der in die Schulsozialarbeit fließt, ist gut investiert.

 

Mit Ihrer Entscheidung, die Ressourcen für die Schulsozialarbeit bei den weiterführenden Schulen auf eine Stelle maximal zu begrenzen, scheren Sie alle weiterführenden Schulen über einen Kamm. Damit werden besondere Herausforderungen und Schwerpunkte an einzelnen Schulen völlig ignoriert. Der Kreistag hat bereits im Juli 2007 einen Kriterienkatalog zur Fortführung der Schulsozialarbeit beschlossen. Nach über 16 Jahren müsste dieser dringend überarbeitet und an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Doch Ihre Kürzungsmaßnahmen fallen sogar noch hinter diesen Berechnungskriterien zurück. Nach diesen würden allen vier betroffenen Schulen mehr als eine Personalstelle zustehen. Uns ist daher unverständlich, warum die Kreisverwaltung selbst diese alten und daher als untere Grenze anzusehenden Kriterien des Kreistages nicht mehr erfüllen möchte.

 

Die Kürzungen sind aber auch ein negatives Signal für die Schullandschaft im Main-Taunus-

Kreis. Sie haben sich als Schulträger bewusst für ein breites Angebot an weiterführenden Schulen mit unterschiedlichen Schulformen entschieden. Damit dieses in seiner Vielfalt bestehen kann und alle Schulen bei der Schulwahl ihre Attraktivität zeigen können, bedürfen einige Schulen eine verstärkte Förderung durch den Schulträger. Integrierte Gesamtschulen, Haupt- und Realschulen und Gesamtschulen, die in besonderer Weise gerade diese Haupt- und Realschulzweige im Blick haben, gehören dazu. Es sind nun genau diese Schulen, die von der Kürzung der Ressourcen betroffen sind. 

 

Haben die Ergebnisse der letzten PISA-Studie nicht noch einmal deutlich gemacht, wie selektierend das deutsche Bildungssystem ist und wie lückenhaft die erworbenen Kompetenzen sind? Analysiert die Wissenschaft nicht übereinstimmend, dass zur Überwindung benachteiligte Kinder viel mehr gefördert und integrierende und gemeinsame Lernformen viel stärker etabliert werden müssten? Die Stärkung der Schulen, die einen Fokus auf diese Integrationsarbeit legen, wäre ein guter Ansatz. 

 

Schauen Sie in den Nachbarkreis Groß-Gerau, dort kommt auf ca. 300 Schüler:innen eine sozialpädagogische Fachkraft und sogar an Gymnasien hat Groß-Gerau Schulsozialarbeit etabliert. In Wiesbaden hat man die Potentiale und positiven Effekte der Schulsozialarbeit schon sehr früh erkannt und arbeitet schon lange mit einem sehr hohen Personalschlüssel (1 Stelle auf ca. 200 Schüler:innen) erfolgreich und gewinnbringend für jeden Schüler, jede

Schülerin und nicht zuletzt auch für ein besseres Miteinander in der Gesellschaft. Mit Ihrer Entscheidung wäre eine sozialpädagogische Fachkraft für weit mehr als 700 Schüler:innen zuständig.

 

Der Main-Taunus-Kreis als kommunaler Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist für sozialpädagogische Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche in unserem Kreis primär zuständig. Dies gilt auch für die sozialpädagogische Arbeit an den Schulen. Daher stehen vor allem Sie in der Verantwortung, entsprechende Ressourcen bereit zu stellen. Dass einzelne Gemeinden im Kreis die Kürzungen kompensieren sollen, halten wir für unangemessen.

Insbesondere die weiterführenden Schulen sind Schulen des Kreises und stehen allen Kindern und Jugendlichen aus diesem Kreis gleichermaßen zur Verfügung. Natürlich muss auch der Main-Taunus-Kreis seine Finanzen sichern und in schlechten Zeiten vielleicht mehr als sonst auf die Leistungen der Gemeinden zurückgreifen. Im Bereich der Schulen sollte dies dann aber einheitlich und solidarisch unter allen Gemeinden in Form einer Umlage aufgeteilt und vom Kreis mit diesen verhandelt werden, nicht von den einzelnen Schulen, die auf das Wohlwollen und die Finanzkraft „Ihrer“ Gemeinde angewiesen wären.

 

Die Zeit drängt: Der Fachkräftemarkt an fähigen Sozialarbeiter:innen ist leergefegt. Engagierte Kräfte zu verlieren, ist für die betroffenen Schulen, ihre Lehrerschaft und die Heranwachsenden keine Option. Unsere Kinder sollen nicht schon wieder die Leidtragenden von schwierigen Haushaltslagen sein.

 

Die Zukunft der Gesellschaft entscheidet sich auch im Klassenzimmer. Daher benötigen wir andere Lösungen. Wir, die Unterzeichner dieses Briefes als Vertreter der Schüler:innen und Eltern der betroffenen Schulen und im gesamten Main-Taunus-Kreis fordern Sie daher auf, die Kürzungen an diesen Schulen zurückzunehmen und darüber hinaus die Schulsozialarbeit an allen Schulen des Kreises zu stärken und langfristig zu sichern.

 

 

Mit freundlichem Gruß

 

 

Der Kreiselternbeirat des Main-Taunus-Kreises


Der Kreisschülerrat des Main-Taunus-Kreises

 

Der Schulelternbeirat und die Schülervertretung der Friedrich-Ebert-Schule in Schwalbach am Taunus

 

Der Schulelternbeirat der Heinrich-Böll-Schule in Hattersheim am Main

 

Der Schulelternbeirat der Heinrich-von-Brentano-Schule in Hochheim am Main

 

Der Schulelternbeirat der Sophie-Scholl-Schule in Flörsheim am Main

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